Die Baugeschichte
Schon seit vielen Jahren habe ich mit dem Gedanken gespielt, ein traditionelles Kanu selber zu bauen. Zuerst dachte ich daran, ein traditionelles Birkenrindenkanu zu bauen, allerdings mit einer Stoffbespannung anstelle der Rinde. Etwas später fiel mir ein Buch in die Hand, in dem der Kanubau aus Holzleisten mit Glasfaserbezug beschrieben wurde.
Endlich hatte ich Anfang 2007 eine Garage zur Verfügung und entschloss mich schnell, dass es jetzt Ernst wird. Bei der Vorbereitung erkannte ich allerdings schnell, dass es nicht das hochglänzende, glatte Leistenkanu mit Epoxidharzbezug ist, das ich bauen wollte, sondern das Holz-Leinwand-Kanu, wie es seit über 100 Jahren in Nordamerika hergestellt wird. Haltbarkeit erhält die Konstruktion durch Spanten, die über einer Form gebogen und dann mit dünnen Planken in der Längsrichtung verstärkt werden. Schließlich wird das Kanu mit Leinwand bespannt, die mit einer speziellen Farbmischung wasserdicht gemacht wird.
Die grundlegende Anleitung bildete mir das Buch The Wood & Canvas Canoe von Rollin Thurlow und Jerry Stelmok. Zuerst muss die Form gebaut werden, die es dann ermöglicht, verhältnismäßig schnell gleichartige Kanus zu bauen. Ich habe diese Form allerdings für das erste Kanu nicht so stabil ausgeführt, wie es üblich ist. Anstelle der Bleche unter den Spanten, auf denen die Nägel automatisch vernietet werden, habe ich Lücken in der Bauform gelassen, so dass man ein Eisen gegenhalten kann, damit die Nägel sich umbiegen.
Der nächste Schritt war der Zuschnitt aller benötigten Bauteile: zwei lange innere Weger, die den oberen Rand des Kanus bilden, zwei Steven, ca. 50 Spanten und dünne Planken für die Beplankung. Ich habe Esche für die Steven und Spanten sowie Fichte für alle anderen Teile verwendet. Da Esche recht hart und schwer, aber flexibel ist, reichen 4,5 mm für die Dicke der Spanten, während die Planken 5 mm dick zugeschnitten sind. Steven und Weger haben Maße von ca. 2×2 cm. Alle Teile müssen geschliffen werden, bevor man sie einbauen kann, denn die vielen Ecken im Boot lassen ein gutes Schleifen hinterher sehr schwierig werden.
Die Formen von Steven und Spanten werden erreicht, indem das Holz in einer Dampfkammer erhitzt wird und dann auf der Bauform in die richtige Form gebracht wird. Für die dickeren Steven brauchte ich einige Anläufe, bevor ich Erfolg hatte mit dem Dampfrohr. Die Spanten wurden auch in der selbst gebauten Dampfkiste heiß genug, um sich biegen zu lassen. Die Spanten werden dann an den inneren Weger genagelt.
Nach dem Biegen aller Spanten müssen eventuelle Unebenheiten weggeschliffen werden. Mit der etwas unstabilen Form, die ich mir gebaut hatte, war das Biegen nicht so perfekt, so dass sich einige Spanten etwas hochwölbten und ziemlich stark abgeschliffen werden mussten. Einige Unebenheiten konnte ich nicht mehr beseitigen, sie bilden aber vor allem ästhetische Mängel. Schließlich können die Planken vernagelt werden. Dazu werden spezielle Schiffsnägel benutzt, die eine sehr scharfe Spitze haben und sich so von selber auf der Innenseite umbiegen und wie durch eine Klammer Planke und Spante zusammenhalten. Dazu braucht es einen Gegenhalt auf der Innenseite, entweder ein Blech, oder wie in meinem Fall ein Eisenstück, „Klammereisen“ (engl. clinching iron), das man von innen beim Nageln gegenhält. Das fordert viel Kraft und lange Arme, denn die Breite des Kanus beträgt etwa 90 cm.
Durch die Leisten, aus denen meine Form besteht, konnten nicht alle Nägel eingeschlagen werden, sodass die Struktur noch recht instabil war. Es zeigte sich auch, dass die Eschenspanten eine weitaus größere Sprungkraft hatten, als ich erwartet hatte, so dass ich die Form während der Bauphase verstärken musste, damit sie der Spannung standhielt. Diese Sprungkraft machte es aber leicht, den Rumpf von der Form zu nehmen, weil er sozusagen von selber absprang und nur noch hochgehoben werden musste.
Jetzt kam der „Innenausbau“, das Verbinden der Steven mit den Wegern am vorderen und hinteren Ende des Kanus. Dazu werden kleine sog. Decks eingebaut, die die Weger zusammenhalten. Schließlich werden auch noch die Planken an die Steven genagelt, und auf einmal hat das Kanu eine außerordentliche Stabilität. Damit sich die Spanten nicht zu sehr nach außen dehnen, werden Querhölzer eingebaut, die die Weger auf dem richtigen Abstand zueinander halten. Schließlich musste noch etwa ein Drittel der nötigen Nägel eingeschlagen werden, die auf der Form nicht genagelt werden konnten.
Erneutes Schleifen der Außenseite ist nötig, damit alle Stellen, wo sich die Planken etwas angekantet haben, beseitigt werden. Da ich nicht über eine Hobelmaschine verfüge und nur eine recht einfache Kreissäge besitze, weisen alle meine Planken eine ungleichmäßige Dicke auf, die teilweise so groß ist, dass hier mit Schleifen nicht mehr ausreichend ausgeglichen werden konnte. Als Folge sieht man die Planken ziemlich stark durch die Leinwand als Konturen hindurch.
Den vielleicht unsichersten Bauabschnitt stellte die Bespannung des Kanus mit Leinwand dar. Ich konnte nicht genau den richtigen Stoff kaufen, das Gewebe ist nicht ganz so dicht und stark, wie es eigentlich sein sollte. Der Stoff wird längs gefaltet und dann unter Spannung aufgehängt, sodass er sich dicht um das Kanu legt. Die professionellen Kanubauer steigen dann in das aufgehängte Kanu hinein, um es ausreichend zu beschweren und so gut wie möglich in die Stofftasche hineinzudrücken. Ich habe mich damit begnügt, die Enden mit ca. 20 kg zu beschweren. Vielleicht war die Spannung nicht so hoch wie es die Literatur angibt, aber das Ergebnis sieht genauso aus, wie es sein soll. Der Stoff wird an den oberen Rändern angetackert, dann wird die Spannung verringert und die Enden werden überlappend an den Steven festgenagelt.
Viele Gedanken hatte ich auch dem Füllstoff geschenkt, mit dem der Stoff eingestrichen wird. Das Ziel ist, eine harte, abriebfeste Oberfläche zu erzielen, unter der die Struktur des Stoffes verschwindet. Ich habe mich vor allem an ein traditionelles Rezept gehalten, wobei ich allerdings etwas Teer zur besseren Konservierung hinzufügte. Ich hatte das Gefühl, die Masse sei zu flüssig und fügte mehr von dem Quarzpulver hinzu, als im Rezept angegeben. Als Folge ist womöglich die Oberfläche nicht so abriebfest, wie sie sein sollte. Ich habe allerdings auch keine Möglichkeit zum Vergleich.
Abschließende Arbeiten beinhalten erneutes Schleifen und Bemalen mit einer Alkydfarbe. Die hölzerne Innenseite habe ich mit Leinölfirnis und Tungöl behandelt, diese Behandlung muss man dann etwa einmal im Jahr erneuern. Die Außenweger müssen angebracht werden, um die Oberkante des Schiffsrumpfes zu schützen, und schließlich noch zwei Sitze an den Innenwegern aufgehängt werden.
Die Außenweger haben eine Nut an der Oberseite, die über die Beplankung passt, sodass sich die Oberseite dicht and die Spanten anschließt, während die Unterseite mit Planken und der Stoffbespannung abschließt. Die Außenweger müssen sicher einige Belastung aushalten, denn die Paddel werden an ihnen wohl recht häufig entlang schaben; aus diesem Grund habe ich Esche ausgewählt. Da meine Bohlen allerdings nicht lang genug waren, musste ich die langen Weger aus drei Teilen zusammenleimen, bevor ich die Nut mit der Kreissäge aussägen konnte.
Als letzte Arbeit müssen noch Außensteven angepasst werden, um die Stoffbespannung im kritischen Bereich vorne und hinten zu schützen. In Amerika wird hierzu üblicherweise eine dünne Messingleiste benutzt, aber ich habe mich für eine Version aus Eschenholz entschieden. Die Außensteven sind dünner als die Innensteven, müssen aber auch gedämpft werden und dann auf der gleichen Form gebogen werden, auf der auch die Innensteven ihre Form bekommen haben.
Schließlich im September ist es so weit. Die Fuge zwischen den Außensteven und dem Bug/Heck ist geckittet, damit durch die Schraubenlöcher kein Wasser eindringen kann – die Gefahr ist allerdings nicht groß, denn die Schaubenlöcher gehen ja nur in das Holz des Innenstevens. Da ich aber die Biegung nicht so exakt erreicht habe, musste ich die kleine Ritze, die sich bildete, füllen. Die Außensteven werden noch geölt und dann geht es auf das Wassen. Das Kanu verhält sich sehr elegant, es gleitet gerade aus, lässt sich aber mit einem Schlag fast einmal um die eigene Achse drehen, wenn man ihn geziehlt anbringt. Das ist also die „Voyager“-Form.
Die Bauzeit hat – mit vielen Pausen – etwas über ein Jahr gedauert. Ich habe allerdings schnell aufgehört, die Stunden zu zählen, es werden reichlich über hundert sein. An reinen Materialkosten sind wohl etwa 500 bis 600 Euro angewachsen, was sich gering ausnimmt, wenn man bedenkt, dass diese Kanus fü etwa 2000–2500 Euro verkauft werden.
Nachtrag 2010
Mittlerweile habe ich auch eine wichtige Entdeckung gemacht: Die Nieten, mit denen Spanten und Beplankung vernagelt werden, gibt es in verschiedenen Längen. Die Nieten, die ich hatte, waren für eine Spantendicke von ca. 8 mm und eine Plankendicke von ca. 5 mm ausgelegt. Ich hatte aber die Spanten, die in Nordamerika üblicherweise aus weicherem Holz hergestellt werden, aus Esche gemacht. Durch die höhere Dichte und Elastizität des Eschenholzes können die Spanten auf beinahe die halbe Dicke verringert werden, ohne Abstriche in der Stabilität machen zu müssen (in meinem Fall 4,5 mm). Meine Nieten waren dadurch jedoch zu lang und bogen sich am oberen Ende nicht nur um wenige Millimeter um, sondern hinterließen 3–5 mm lange Haken im Holz. Das ist nicht so schön, wie es sein sollte; zum Glück ist das Kanu dadurch ebenso stabil wie mit Nieten der richtigen Länge.